Aufforderung zur Richtigstellung an Prof. Dr. Foitzik und Appell an alle Evolutionsbiologen

Von:
Steffen Pichler
Herausgeber
ZEIS Magazin in Frankfurt am Main

An:
Professorin Dr. Susanne Foitzik
Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz

Sehr geehrte Frau Professorin Foitzik,

als Herausgeber des ZEIS Magazins, einem Portal zur realistischen Aufklärung der Öffentlichkeit über die allgemeine Ökologie, möchte ich anlässlich von Äußerungen rund um Ihr Buch „Weltmacht auf sechs Beinen: Das verborgene Leben der Ameisen” eine Aufforderung an Sie richten. Dies verbinde ich mit einem Appell, der in einem weiter gefassten Sinne auch für andere Evolutionsbiologen und hierbei insbesondere für berufene Professoren gilt, worauf ich später zurückkomme. Einigen sende ich eine Kopie des Briefes zu und er ist in unserem Magazin unter www.zeis-magazin.de frei zugänglich. Sollten Sie es wünschen, wird dort eine wörtliche und ungekürzte Antwort von Ihnen veröffentlicht.

Die eigentliche Aufforderung und der Appell folgen gegen Ende meiner Ausführungen. Hier nun zunächst der auf Sie persönlich bezogene Sachverhalt: In und im Zusammenhang mit Ihrem oben genannten Buch haben Sie exponiert behauptet, dass Ameisen „Landwirtschaft betreiben“, dabei andere Organismen „züchten” sowie andere Tiere als „Nutzvieh” „halten” und „melken“. Folgend ein Auszug aus einem begleitend zu der Buchvorstellung veröffentlichten und von anderen Webseiten zitierten Interview aus „buchszene.de“:

Frage: „Stimmt es, dass Ameisen Landwirtschaft und Viehzucht betreiben?“
Prof. Dr. Foitzik: „Ja, sie züchten Pilze und halten sich Blattläuse zum Melken.“ [1]

Auch schon ganz am Anfang des Buches selbst, in dem nur wenige Sätze langen Klappentext, steht geschrieben:

„Sie legen Gärten an und züchten Pilze, halten sich Blattläuse als Nutzvieh und verteidigen es gegen Räuber.“ [2]

Durch diese Äußerungen implizieren Sie, dass die zivilisatorische Zucht und lebenslange Gefangenhaltung anderer Organismen Schemen entsprechen, welche abseits unserer Wirkungen auch anderswo in der Natur vorkommen. Das stimmt aber nicht. Zwar mögen manche der oft in vielen Millionen Jahren entstandenen Mutualismen und obligatorischen Symbiosen unter Beteiligung von staatenbildenden Ameisen oberflächliche Ähnlichkeiten aufweisen zu der vom „neolithischen” Menschen seit ein paar tausend Jahren betriebenen landwirtschaftlichen Methodik. Aber es ist stets etwas fundamental anderes. So werden die Blattläuse nicht wirklich „gehalten” wie „Nutzvieh”. Sondern manche Spezies haben sich im Evolutionsprozess darauf ausgerichtet, Ameisen etwa durch Konzentration von Melezitose in ihren Fäkalien gezielt anzulocken, weil es ihnen als Spezies mehr Vorteile als Nachteile bringt. Sie sind also vorrangig die lockenden Initiatoren der sie dadurch besuchenden Ameisen, weswegen der Begriff „halten“ nicht korrekt ist. Und ganz sicher werden die Läuse auch nicht „gemolken”, schon weil die für sie ansonsten nutzlosen Fäkalien, welche sie den Ameisen bei Näherung gezielt anbieten, in keiner Weise der zur reinen Nährung des Nachwuchses entstandenen Milch der Säugetiere entsprechen.

Mit Ihrer verdrehenden Darstellung wird bei einem großen Laienpublikum der unterbewusste Wunsch befriedigt, dass die (heute hauptsächlich in der industriellen Massentierhaltung befindlichen) „Nutztiere” oder eben „Nutzvieh”, von denen die Produkte im eigenen Kühlschrank stammen, in der Natur ein Äquivalent haben. Dies erzeugt eine Reduzierung kognitiver Spannungen, denn die Menschen erkennen zumindest unterbewusst, dass die Quelle dieser Nahrung widernatürlich ist. Auch andere Autoren populärer Sachbücher nutzen diesen Effekt und stellen die Worte „halten“ und „Nutzvieh“ bei Buchpräsentationen ähnlich exponiert heraus, ein prominentes Beispiel (Peter Wohlleben) finden Sie aktuell im ZEIS Magazin. Soweit dies dem Buchverkauf förderlich ist, werden auf der anderen Seite Chancen einer Aufklärung dahingehend blockiert, dass Zucht und lebenslange Haltung der „Nutztiere” fundamentalen Ordnungen der Natur zuwiderlaufende Handlungen sind und es deswegen im übrigen Ökosystem kein solches Äquivalent gibt bzw. auch gar nicht geben kann. Wenn diese Tatsache bereits früher tiefgreifend als solche verstanden und gelehrt worden wäre, dann hätten die extremen Eskalationen der industrialisierten Massentierhaltung mit all ihren fatalen ökologischen und sonstigen Folgeschäden wahrscheinlich gar nicht so entstehen können.

Ihre Aussage, dass Ameisen andere Organismen „züchten”, widerspricht sogar zentralen Feststellungen von Charles Darwin. In der deutschen Sprache benennt das Wort „Zucht” vorrangig den lenkenden Eingriff eines Manipulators in die generationsübergreifende Fortentwicklung der Merkmale einer anderen Lebensform zur Schaffung eigenen Nutzens. Dieser Wortsinn wird in der Fachsprache als auch in der breiten Öffentlichkeit entsprechend verwendet und verstanden. Er findet sich zum Beispiel bereits im Eingangssatz der von Millionen Laien genutzten deutschsprachigen Version der Webseite „Wikipedia“ zum Begriff „Zucht“:

„Als Zucht wird in der Biologie die kontrollierte Fortpflanzung mit dem Ziel der genetischen Umformung bezeichnet. Dabei sollen gewünschte Eigenschaften verstärkt und unerwünschte Eigenschaften durch entsprechende Zuchtauslese zum Verschwinden gebracht werden.” [3]

Somit haben Sie – sei es auch indirekt – als berufene Universitätsprofessorin der Evolutionsbiologie gegenüber der breiten Öffentlichkeit impliziert, dass solche lenkenden Eingriffe in die Evolution anderer Lebewesen, wie sie der Mensch seit ein paar Jahrtausenden betreibt, in der Natur auch anderweitig vorkommen. Darwin hatte schon in seinem Hauptwerk festgestellt, dass dies nicht zutrifft und nicht zutreffen kann. Er hat sogar geschrieben, dass seine Theorie vernichtet wäre, wenn in der Natur auch nur ein einziges Beispiel gefunden würde, in dem irgendein Merkmal irgendeiner Spezies zum ausschließlichen Nutzen einer anderen Spezies entstanden ist. Folgend ein Originalauszug:

„Natural selection cannot possibly produce any modification in any one species exclusively for the good of another species; though throughout nature one species incessantly takes advantage of, and profits by, the structure of another. (…) If it could be proved that any part of the structure of any one species had been formed for the exclusive good of another species, it would annihilate my theory, for such could not have been produced through natural selection. Although many statements may be found in works on natural history to this effect, I cannot find even one which seems to me of any weight.” [4]

Und Darwin hat auch die von diesen natürlichen Ordnungen fundamental abweichende Besonderheit des zivilisatorischen Eingriffes in die Evolution anderer Lebewesen herausgestellt:

„One of the most remarkable features in our domesticated races is that we see in them adaptation, not indeed to the animal’s or plant’s own good, but to man’s use or fancy.” [5]

Die Feststellungen Darwins beziehen sich also im Kern pauschal darauf, dass sich in der natürlichen Evolution bei allen Spezies des Ökosystems immer Merkmale vorrangig durchsetzen, die der Fortpflanzungsgemeinschaft des Trägers nutzen. Dieser Kern wurde bis heute nie wirklich widerlegt. Seltene Beschreibungen, nach denen ein Parasit scheinbar zum vorrangigen eigenen Nutzen den Phänotyp des Wirts über dessen Generationen hinweg entsprechend verändert, verlieren bei detaillierter Reflexion ihr Gewicht (so wie von Darwin vorausgesehen). Das bleibt auch z. B. mit Blick auf die mittlerweile umfangreich angewachsenen Beschreibungen rund um erbgutverändernde Viren oder genetische Informationen austauschende Bakterien gültig. Dass sogar in diesen extrem komplexen Ebenen des Ökosystems mit zahllosen verschiedenen Manipulationsstrategien immer nur Individuen der bestehenden Generationen der Wirte manipuliert werden, nie aber entsprechend auf deren Nachkommen eingewirkt wird, lässt jenes erkennen, was Darwin ebenfalls ausgeführt hat: dass eine Lebensform nur nachhaltig stabil bleibt, wenn sie zu ihrem eigenen vorrangigen Nutzen selektiert wird. Die Strategie der generationsübergreifenden Manipulation hat sich also nirgendwo herausgebildet, weil der Manipulator sich stets in eine evolutionäre Sackgasse hineinbewegt und mit dem Wirt untergeht. Deswegen kann es auch bei der Entstehung der obligatorischen Symbiosen zwischen Ameisen und Pilzen keine echte Zucht gegeben haben.

Es gibt keine soliden Nachweise dahingehend, dass die Attini in irgendeiner Weise die Symbiosepartner, sei es den Pilz oder die beteiligten Bakterien, bezüglich irgendeines Merkmals wirklich (im vorrangigen Wortsinne) gezüchtet haben. Und umgekehrt ist es genauso, also der Pilz hat die weitreichenden Veränderungen der Ameisen nicht durch züchterische Manipulation bewirkt. Sondern auf allen Seiten hat über viele Millionen Jahre eine schrittweise Koevolution stattgefunden, bei der sich die Merkmale der beteiligten Seiten immer so weiterentwickelt haben, dass sie dem Träger vorrangig und nachhaltig nützlich sind. Deswegen dauert die Entstehung solcher obligatorischer Symbiosen so lange und es sind stets nur wenige bestimmte, hochgradig aufeinander spezialisierte Beteiligte vorhanden.

Die vom Menschen betriebene echte Zucht und somit die darauf basierende Landwirtschaft haben also nichts zu tun mit der evolutionären Entstehung von phänotypisch ausgeprägten Mutualismen und Symbiosen zwischen einzelnen bestimmten Spezies im Ökosystem. Vielmehr haben wir das vor ein paar tausend Jahren dafür ausreichend angewachsene Abstraktionsvermögen dazu verwendet, quasi jede in Griffweite kommende Lebensform auf Biegen und Brechen zu unserem Nutzen zurechtzumanipulieren. Da dies von Beginn an dem Schema einer evolutionären Sackgasse entsprach und diese mangels Aufklärung immer weiter getrieben wurde, kommen wir nun, nach der Intensivierung der letzten einhundert Jahre, offensichtlich an deren Ende an. Durch den schnellen und starken Anstieg der widernatürlich generierten Nahrungsmenge haben wir uns auf einer völlig instabilen Grundlage explosionsartig vermehrt, während sich parallel die genetische Erosion der Nahrungsorganismen beschleunigte. Die „Nutzpflanzen“ und „Nutztiere“ wurden so praktisch innerhalb (evolutionär) winziger Zeiträume faktisch zu deformierten Krüppeln, die jetzt ohne vielfältige und weiter zu erhöhende Unterstützung wie Medikamente, Pestizide, Dünger, Wasser, bestellte Böden usw. lebensunfähig sind. Die zunehmend eskalierenden Zweitfolgen all dessen reichen bereits bis zu einem beginnenden Kippen weiter Teile des globalen Ökosystems. Und die Beschleunigung dieser Eskalation nimmt aktuell stark zu.

In dieser fatalen Situation wäre die Nachholung einer echten und breiten Aufklärung über die grundsätzliche Widernatürlichkeit der zivilisatorischen Landwirtschaftsmethode also dringend geboten. Nur wenn dieses zentrale Kernproblem ohne weitere Scheu vollständig offengelegt wird, könnten die richtigen Entscheidungen zur Umkehr der Fahrt in die Sackgasse gefunden werden. Theoretisch wäre dies m. E. jedenfalls im Sinne eines Zeitgewinnes möglich, wenn auch mit enormen Umstellungen, wie etwa einem radikalen Zurückfahren der „Tierproduktion“. Und nun verengen ausgerechnet Sie als Professorin für Evolutionsbiologie mit Ihren bestenfalls undifferenzierten Äußerungen den vielleicht noch vorhandenen kleinen Rettungsweg hin zu dieser Aufklärung.

Deswegen fordere ich Sie auf, öffentlich und wirksam richtigzustellen, dass die Mutualismen und Symbiosen der Ameisen eben gerade kein Äquivalent zu unserer Landwirtschaft sind, dass es zu dieser fundamentale Unterschiede bei nur einigen oberflächlichen Ähnlichkeiten gibt und dass das Schema echter Zucht und lebenslanger Gefangenhaltung ganz generell in der Natur zwischen verschiedenen Spezies nicht existiert, weil es nicht nachhaltig funktioniert. Auf diese Weise könnten Sie Ihre Fehler umkehren und sogar wichtiger Teil des schon längst überfälligen Aufklärungsprozesses werden.

Der über die Angelegenheit rund um die Buchveröffentlichung hinausgehende Appell richtet sich aber eben genauso auch an andere Evolutionsbiologen und hierbei insbesondere an berufene Professoren. Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Personenkreis in der Gesellschaft, aus dem heraus jetzt noch eine wirksame Aufklärung über die fundamentale Widernatürlichkeit des lenkenden Eingriffes in die Evolution anderer Spezies erwachsen könnte. Aktuell lassen sich in weiten Teilen der Bevölkerung einschließlich der Medienlandschaft hochgradige geistige Verflachungen und ein zügiges Versiegen des Verständnisses für ökologische Zusammenhänge beobachten. In dieser Gesamtsituation kommt deswegen durch den mit der Professur einhergehenden öffentlichen Auftrag eine sehr große persönliche Verantwortung zustande. Es mag zwar unangenehm sein, die Tatsache der grundsätzlichen Widernatürlichkeit der landwirtschaftlichen Methodik offen und lautstark auszusprechen, beliebt macht man sich damit sicher nicht. Aber berufene Professorinnen und Professoren der Evolutionsbiologie haben gegenüber der gesamten Gesellschaft die Pflicht, dies jetzt trotzdem schnellstmöglich zu tun.

Dieser Brief darf gerne an andere relevante Personen weitergeleitet werden.

Mit freundlichen Grüßen

Steffen Pichler

Herausgeber
ZEIS Magazin

Quellen:

[1] Prof. Dr. Susanne Foitzik im Interview über ihr Ameisen-Hörbuch „Weltmacht auf sechs Beinen“ 17. Februar 2020 Interview: Jörg Steinleitner.
https://buchszene.de/interview-susanne-foitzik-weltmacht-auf-sechs-beinen/
[2] „Weltmacht auf sechs Beinen: Das verborgene Leben der Ameisen”. Susanne Foitzik, Olaf Fritsche, Rowohlt Verlag, November 2019.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Zucht
[4] Darwin, C. R. 1859. On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life. Page 200 / 201 CHAP. VI.
[5] Darwin, C. R. 1859. On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life. Page 29 / 30 CHAP. I.